Erzählungen aus Taura
Erinnern Sie sich noch?
Geschichten aus Taura von Annette Richter
Erntedank
Es gibt Rituale, an die man sich ein Leben lang erinnert.
In der Zeit der DDR begannen das neue Schuljahr mit dem 1. September und damit auch die Christenlehre und die Übungsstunden der Kurrende der St. Moritzkirche in Taura.
Schon in den ersten Stunden wurde der Erntedankgottesdienst vorbereitet. Jedes Kind bekam schriftlich einen Psalm oder ein Dankgebet, um diese im Festgottesdienst aufsagen zu können.
Dabei trug man eine geschmückte Schale mit Obst oder einen Korb zum Altar. Die Aufregung unter den Kindern war groß. Aufstellung und Reihenfolge des Einzuges bei festlicher Orgelmusik wurden geübt, doch welche Gabe man in der Hand halten würde, sah man erst kurz vorm Gottesdienst. Dabei wurde die Kirche schon am Sonnabend wunderschön geschmückt und die Kinder fanden vor dem Altar kaum Platz.
Im ganzen Ort herrschte Aufregung, wer wohl den schönsten Strauß oder die größte Kornpuppe geliefert hatte. Die Kinder wussten es zuerst. Wurden sie doch beauftragt, die Gaben bei den Bauern abzuholen.
Vorsichtig musste man sein, damit die herrlichen Butterschäfchen vom Müllerbauer nicht kaputt gingen. Stolz war die Bäuerin, wenn ihr die Schäfchen wieder gelungen waren und zum Schluss noch einen Petersilienzweig ins Maul bekamen. Die Augen aus Pfefferkörnern blinzelten schon dabei. Nur gut, dass es in der Kirche recht kühl war und Butter und herrliche Brote den Altar schmücken konnten.
Mehrmals mussten die Kinder samstags zur Kirche laufen. Vom Eulitzbauer gab es Kuchen und Blumen, von Friedemanns einen Korb mit Eiern und oft auch Gemüse. Alle Behältnisse waren mit Namen versehen, denn nach der Verteilung der Gaben an ein Kinderheim, mussten diese den Besitzern zurückgebracht werden. Schließlich würden sie im nächsten Jahr wieder gebraucht werden. Manch teurer Porzellanteller wurde wahrscheinlich nur zu diesem Anlass aus dem Schrank geholt.
War das Erntedankfest vorüber, freute man sich auf die „Kirmes“ Anfang November, doch zwischendurch gab es noch die Kartoffelferien.
Annette Richter, August 2024
„De Siedlung“
Es ist kein Fehler in der Rechtschreibung, sondern eine liebevolle Bezeichnung der Bewohner der Arthur-Beil-Straße für ihre Siedlung. Dabei wurde der Straßenname 1930 sorgfältig gewählt. Man ehrte damit den Mann, der sich um heimatkundliches Wissen verdient gemacht hatte. Viele Jahre war er Schuldirektor in Taura und forschte nicht nur über Taura und Burgstädt, sondern über die gesamte Gegend.
Die Häuser der Siedlung waren bereits 1928 bezugsfertig. Die Baufirma Hellner aus Taura hatte sie im Auftrag der ansässigen Textilfirmen errichtet.
Hell, freundlich und modern wirken die Häuser heute noch. Solide gebaut, brachte es der Baufirma den Ruin. Sie hatte wohl nicht solide kalkuliert. Sicher war dies auch ein Grund, weshalb die Straße erst in den 70iger Jahren befestigt werden konnte.
Für die Kinder bildeten die großen Regenpfützen bis dahin eine herrliche Spielfläche. Waren die Pferde des Brennstoffhandels „Dittrich“ durch die Straße gezogen und hatten Etwas fallen gelassen, brauchte man keine Straßenreinigung. Schnell mussten die Kinder mit Schaufel und Besen diesen wichtigen Dung in die Erdbeerbeete bringen. Eben alles Bio.
Die Siedlungsbewohner waren eine große Gemeinschaft, waren sie doch alle zur gleichen Zeit in ihre Häuser gezogen und arbeiteten bei den Firmen Guido Unger und Koch.
Man konnte die Häuser erwerben und die meisten Bewohner entschieden sich dafür. Die Wände zum angrenzenden Doppelhaus waren dünn. Doch das war sehr gut. Es gab kein Telefon und Klopfzeichen in Notfällen waren eine große Hilfe. Wenn Peters Albin klopfen musste, stand wenige Minuten später die Jähnig Liesbeth an der Tür. War der Besuch eines Arztes notwendig, rannte man zu Zahnarzt Amadeus Stern. Er besaß in seiner Praxis als Einziger ein Telefon.
Man half sich gegenseitig, man feierte zusammen und erfand Feste.
Ein Höhepunkt war in jedem Jahr die gemeinsame Ausfahrt mit dem Reisebus. Alte Bilder zeugen noch davon. Spätestens zu diesem Zeitpunkt trug jede Frau ein neues Kleid.
Doch auch die Gestaltung der Gärten unterlag einem Konkurrenzkampf. Wer hatte die schönsten Blumen, wie waren die Eingänge angelegt? Welcher Gartenzaun war schon wieder neu gestrichen?
In den 60iger Jahren kamen die ersten Fernsehgeräte in die Wohnzimmer. Mit einer Flasche Wein ging es dann zu den Fernsehbesitzern, um am Samstag den „Blauen Bock“ zu schauen.
Wurde im KONSUM eine besondere Lieferung gebracht, dazu gehörte auch Käse und Vollkornbrot, verbreitete sich die Nachricht von Gartenzaun zu Gartenzaun und schon traf man sich wieder beim Einkauf.
Die Kinder spielten auf dem wunderschönen Spielplatz hinter den Häusern. Wurde es Abend, trafen sich die Eltern beim Rufen der Kinder zum Abendessen. Selten wurde sofort gehört.
Auf der anderen Seite der Siedlung lagen die Wiesen und Felder vom Bauer Heimer. Sauerampfer schmeckte dort besonders gut. Auch unter den Kindern gab es Feinschmecker. In den Kornpuppen konnte man im Herbst herrliche kleine Wohnungen einrichten. Oft kam es zur Räumung der Wohnungen, wenn Heimer Helmut schimpfte. Die Ermahnung hielt aber meist nur eine Nacht an.
Am Beginn der Arthur-Beil-Straße befand sich der Laden mit den schönsten Hefehörnchen und duftenden Broten, der Weber-Bäck. Ich kenne kein Kind, dass nicht heimlich nach dem Einkauf in solch ein Brot gebissen hat. Auch Großvater Albin habe ich dabei gesehen, es aber der Großmutter niemals verraten.
Schon damals konnte man super familienfreundlich in Taura und der Siedlung leben. Dieser Geist scheint sich erhalten zu haben. Straßenfeste und lebendige Adventskalender zeugen davon.
Möge es so bleiben oder noch schöner werden.
Dies wünscht die Annette, die einst in der Arthur-Beil-Straße 340 wohnte.
(Annette Richter, 19.01.2024 | erschienen im Tauraer Heimatblatt 06/2024 am 08.02.2024)
„De Siedlung“ - Kapitel II
Viel Schönes konnte man auf der Arthur-Beil-Straße in Taura erleben. Außer dem KONSUM und dem Weber-Bäck, gab es ein weiteres, wunderbares Lebensmittelgeschäft, den Neuhaus Otto.
Fast am Ende der Siedlungsstraße stand das großzügige Haus mit Schaufenster und Ladeneingang. Noch heute sehe ich die Bonbongläser aufgereiht vor mir stehen. Sie hatten Glasdeckel mit Verzierung und in jedem befand sich eine kleine Schaufel. Hatte man sich endlich für einer der vielen Bonbonsorten, wie goldene Nüsse mit Kakaofüllung oder saure Dropse entschieden, wurde das Glas vorsichtig geöffnet und die Ware in kleine, spitzförmige Papiertüten gefüllt.
Allein das Verschließen dieser Tüten glich einem Kunstwerk. Oft versuchten wir Kinder beim Spiel mit dem Kaufmannsladen es nachzuahmen. Erfolglos.
Beim Verkauf von Sauerkraut und sauren Gurken wurde die Tüte noch mit Zeitungspapier verstärkt. Plastiktüten gab es noch nicht. Aber es gab alles, was man für einen Haushalt brauchte. So etwa Bohnerwachs in schwarzen, runden Dosen, denn am Wochenende wurde das Linoleum in den kleinen Häusern gebohnert.
In der Vorweihnachtszeit waren wir Kinder sehr aufgeregt und vielleicht auch die Erwachsenen. Wann würden Otto Neuhaus und seine Frau den nickenden Weihnachtsmann ins Fenster stellen? Dann kamen noch die glitzernden Adventskalender dazu. Auch bei Schnee und Kälte konnten wir lange vor dem Fenster stehen.
Schlimmer war für uns Kinder das „Monster“ hinter diesem Haus. So nannten wir Kinder die Wäschemangel. Mit Wäschekorb im Handwagen fuhren die Hausfrauen dort vor. War es sehr kalt, hatten sie noch eine Wärmflasche dabei. Vorher hatten sie eine Termineintragung im Rollbuch machen müssen. Die großen Mangeltücher wurden auf eine Rolle gewickelt und dazwischen die Baumwollwäsche gelegt. Diese kamen dann unter den mit Steinen beschwerten Kasten der Mangel. Ein Sicherheitsgitter rastete ein und die Mangel setzte sich in Bewegung. Was waren das für unheimliche Geräusche?! Es knarrte und knackte beim Hin-und Herbewegen des schweren Kastens. Erschien es der Hausfrau genug, wurde die Rolle wieder auf dem Rolltisch ausgerollt und die Wäsche glatt in den Korb gelegt. Als ich 12 Jahre alt war, musste ich diese Arbeit allein verrichten und hatte furchtbare Angst dabei.
Auch einen Schneidermeister Uhlig gab es auf der Straße. Aus vielen, alten Kleidern fertigte er neue, schicke Kleider. Sie wurden vorher zertrennt, Stoffe und Knöpfe aufgehoben, denn nach dem Krieg gab es kaum Stoffe zu kaufen. Tanzstundenkleider konnten manche Leute aus Ballonseide nähen lassen. Kein fremder Kunde hat jemals vom Schneidermeister erfahren in welchem Armeelager die Seide gefunden wurde.
Wenn es auch die schönen Geschäfte nicht mehr gibt. Eines ist geblieben. Die Artuhr-Beil-Straße mündet immer noch in die Taurasteinstraße und ein markanter Punkt ist dabei der alte Eichenbaum.
(Annette Richter, 26.01.2024 | erschienen im Tauraer Heimatblatt 21/2024 am 25.05.2024)
Die Promenade
Nicht nur größere Städte oder Kurbäder besitzen eine Promenade.
Auch in dem familienfreundlichen Ort Taura wurde bei der Planung der Siedlung an einen Ort des Wohlbefindens in der Natur gedacht.
Vor dem großen, schönen Gebäude, in dem sich auch der KONSUM befand, am Rande einer großen Blühwiese war sie entstanden. Die Promenade.
Für Jung und Alt war sie ein Ort der Entspannung, aber auch anregender Gespräche. Sie war in Form eines Sechseckes angelegt und mit herrlichen Ahornbäumen bepflanzt. Diese hatten zu jeder Jahreszeit eine besonderen Reiz. Wenn sich die Samen zur Erde drehten, konnte man sie auf die Nase setzten, denn sie klebten wunderbar und das Gesicht bedurfte keiner Karnevalsmaske um zu lachen.
Wurde es Herbst, färbten sich die gezackten Blätter in allen Farben und die Kinder suchten eifrig die schönsten Blätter. Sie ergaben daheim eine herrliche Dekoration oder wurden zwischen Bücherseiten gepresst. Nach vielen Jahren fand man sie noch zwischen den Seiten der Lieblingsbücher.
Unter den Bäumen standen Bänke. Die Mädchen der Siedlung trafen sich dort mit den Puppenwagen. Eine der Bänke diente immer als Arztpraxis. Auf den anderen Bänken wartete man geduldig, bis die eigene Puppe zur Untersuchung an der Reihe war. Die Medikamente konnten am Rand der Promenade gepflückt werden. Omas und Muttis gönnten sich nach dem Einkauf eine kleine Ruhepause und schauten dem Treiben der Kinder zu.
Manchmal kamen auch die Jungs vorbei. Oft hatten sie auf der holprigen Straße ein Rollerrennen veranstaltet. Ohne blutige Knie ging das nie aus. Besonders die Holzrollerfahrer waren gefährdet.
Doch die Bänke der Promenade boten ein gutes Krankenlager und nach kurzer Zeit begannen die Wettbewerbe von vorn. Keiner kam auf die Idee nach einem Sturz zu Hause zu klingeln. Die Wunden heilten von allein.
Am Abend sah man auch Männer auf den Bänken sitzen. Manche rauchten, erzählten vom Krieg, von Gefangenschaft oder von ihrer Arbeit.
Allein fühlte sich keiner und die Bäume und Bänke der Promenade trugen dazu bei.
Burgstädt, 26. 2.2024
Annette Richter
Als die Pferde nicht mehr kamen
So lange sie denken konnte, war ihr Leben mit einem besonderen Geräusch verbunden gewesen. Es war der Klang des näher kommenden und sich wieder entfernenden Getrappel der Pferde. Auch der hölzerne Kastenwagen, den sie zogen, klapperte dazu. Es gab keinen Takt, denn die Straße war ungepflastert und sehr holprig. Für Straßenbelag hatte das Geld nach Fertigstellung der kleinen Siedlungshäuser nicht mehr gereicht. Hatte es geregnet, konnte man herrlich barfuß in den Pfützen spielen. Für das Federballspiel eignete sich die Straße gerade noch so. Kam das Pferdefuhrwerk, gingen alle ehrfurchtsvoll zur Seite und staunten. Sie staunten nicht nur über die Pferde, sondern ganz besonders über den Kutscher. Wahrscheinlich konnten nur die Pferde seine Sprache verstehen, denn für die Dorfbewohner war eine Unterhaltung mit ihm nur sehr schwer möglich.
Angestellt war Bruno, so hieß der Kutscher, bei der Firma „Max Dittrich“ Brennstoff und Fuhrbetrieb in Taura. Es muss um das Jahr 1961 gewesen sein, als er dort seine Arbeit aufnahm. In den zweiten Weltkrieg war er als gesunder Mann gezogen, aber taub zurückgekehrt.
Seine Augen waren die Verbindung zur Welt, und so hatte er sich, als einzigen Luxus, ein Fernsehgerät zugelegt. Wie so viele Menschen musste auch er immer wieder die Antenne nach Westen ausrichten. Keine einfache Sache, wenn die Zurufe zwecks eines guten Bildes nicht zu hören waren. Manchmal war Bruno auch sehr eigenwillig. Manche Speisen aß er nicht. So kam es, dass er eines Tages wütend die Küche der Firma verließ und aufs Dach kletterte, weil er Kartoffeln und Quark auf keinen Fall essen wollte.
Es geschah im Jahr 1969. Man hatte Bruno nicht gleich vermisst, aber ein seltsames, dumpfes Geräusch gehört. Es war entsetzlich. Bruno war vom Dach gestürzt. Er war tot. Die Pferde hätten eine neue Sprache erlernen müssen, und so wurden die Brikett danach mit einem großen LKW angeliefert. Die Straße blieb weiterhin ungepflastert. Für das inzwischen 15 jährige Mädchen hatte sie aber an Faszination und Leben verloren und der Ort einen ganz besonderen Menschen.
(Annette Richter, Burgstädt, 12.08.2022)
Eine Schlange im Paket?
Es war der 29. Januar 1960. Das Kind spielte und war vergnügt. Der Großvater feierte seinen 60. Geburtstag. Gratulanten kamen und manchmal durfte das Kind auch die schönen, mitgebrachten Geschenkpäckchen für ihn öffnen. Es waren kleine Freuden, die der Großvater dem Kind damit bereiten konnte. Es betrachtete gedankenverloren zuerst das schöne Einschlagpapier, bevor es vorsichtig die Schleifenbänder löste. Danach sortierte es die Geschenke zwischen den Geburtstagsblumen, von denen es im Januar nur wenige gab.
Jubel brach aus, als der Postbote klingelte. Mit einem kleinen, aber schweren Päckchen stand er vor der Tür und das Kind durfte natürlich auch dieses Päckchen in Empfang nehmen.
Diesmal benötigte es eine Schere, um den Bindfaden zu durchschneiden. Mit dem Packpapier wurde es schwieriger. Der Großvater musste beim Aufschneiden Hilfe leisten. Doch danach überließ er die schöne Arbeit wieder dem Kind, schließlich hatte die Mutter des Kindes bestimmt die schönsten Dinge für den eigenen Vater eingepackt. Sie lebte in Kassel und wusste, womit sie ihrem lieben Vater Freude bereiten konnte.
Da das Kind noch nicht lesen konnte, legte es die Zollinhaltserklärung verächtlich zur Seite.
Ein plötzlicher Schrei ließ alle Gäste zusammenzucken. Weinend lief das Kind aus dem Haus. „Eine Schlange, eine Schlange!“, rief es immer wieder. Es war noch nach Stunden nicht zu beruhigen.
Die Mutter hatte lange überlegt, worüber sich ihr Vater ganz besonders freuen würde. Viele Entbehrungen hatte er in seinem Leben schon auf sich genommen. Nun zog er noch ihre kleine Tochter groß. Also musste es ein ganz besonderes Geschenk werden und es lag zusammengerollt obenauf im Paket. Eine Gaumenfreude, die in der DDR nicht zu bekommen war:
Ein Aal!
Niemals würde das Kind in seinem Leben einen Aal verzehren, auch mit 68 Jahren noch nicht.
Eine Schlange bleibt eine Schlange.
(Annette Richter Ostern 2022)
Albin Peters
Die heutige Generation lächelt, wenn man erzählt, dass früher Menschen fast 50 Jahre am gleichen Arbeitsplatz tätig waren. Noch dazu waren diese Menschen glücklich und zufrieden. Einer von diesen Menschen war der Werkmeister Albin Peters. Die in Taura ansässige Firma „Guido Unger“ war sein Arbeitgeber.
Verlockend war das Angebot dieser Firma gewesen. Eine Siedlung mit kleinen Einfamilienhäusern war errichtet worden. Noch heute ist die Arthur-Beil-Straße ein Schmuckstück Tauraer Wohnkultur. Man konnte diese Häuschen kaufen oder mieten. Albin Peters entschied sich mit seiner Frau zum Kauf.
Leicht war sein Leben auch bis dahin nicht verlaufen. Als Sechsjähriger verlor er seine Mutter. Er und seine Geschwister wurden unter den Dorfbewohnern, meist Bauern, verteilt. Das geschah von einem Tag auf den anderen. Zusammenhalt hieß das Zauberwort. Unter heutiger Bürokratie undenkbar! Er schlief auf dem Heuboden, versorgte die Tiere und ging in die Heiersdorfer Schule. Vier Schulklassen wurden dort in einem Raum und von einem Lehrer unterrichtet. Der Rohrstock kam täglich zur Anwendung. Auch als Rentner verzog er noch schmerzhaft sein Gesicht, wenn er von dieser Züchtigungsart erzählte.
Kaum 17-jährig zog er als Baupionier in den 1. Weltkrieg. Durch Kälte, Hunger und dem Tragen des Stahlhelmes bei Brückenbauten verlor er sein Haupthaar. Darüber war er lebenslang traurig. Es war damals keinesfalls eine Modeerscheinung, eine Glatze zu haben. In der Nazizeit sah man darin eine Gesinnung. Albin Peters war Optimist. Dies bewies er, als er seinen Hochzeitstermin auf einen Freitag legte. Es war Freitag der 13. November 1926.
Rasant hatte sich Taura zu einem Industrieort entwickelt. Mutige Menschen hatten große Fabrikgebäude gebaut. Die Werksuhr der Firma Guido Unger war in Konkurrenz mit der Kirchturmuhr getreten, beide weithin sichtbar. Überall wurde in drei Schichten gearbeitet und Albin Peters war meist in zwei Schichten vor Ort. Im gesamten Betrieb war er gefragt. Obwohl er eigentlich für die durchgängige und fehlerlose Produktion mit den Rundstühlen verantwortlich war, rief man ihn bei Havarien in jede Abteilung. Brummte der große Heizkessel im Kesselhaus zu sehr und man glaubte er würde gleich explodieren, wurde nach dem Werkmeister gerufen. In der Färberei oder Spulerei ging es nicht anders zu. Wie oft am Tag wird er über die breiten Stufen des großen Treppenhauses gegangen sein? Der Weg zur Fabrik wurde von den Werksinhabern gepflastert bzw. betoniert. Dazu musste der Dorfbach überbrückt werden. Sauberen Fußes können wir, wie damalige Arbeiter, noch heute am Rathaus entlang laufen. Die Arthur-Beil-Straße allerdings blieb über 50 Jahre lang unbefestigt.
Mit 75 Jahren verstarb Albin Peters. Über fünf Jahre nach Erreichen des Rentenalters hatte er noch für „seine“ Firma gearbeitet.
(Annette Richter, 22.03.2021 | erschienen im Tauraer Heimatblatt 23/2024 am 06.06.2024)
Liegestuhl und Segelflieger
Betritt man zurzeit das Burgstädter Heimatmuseum, wird man freundlich auf eine kleine Sonderausstellung in der oberen Etage verwiesen. Es geht um die spannende Zeit, als sonntags noch die Segelflieger am Taurastein ihre Kunst am Himmel zeigten.
Das kleine Mädchen aus der Arthur-Beil-Straße hatte dabei besonderes Glück. Es bewohnte mit den Großeltern die VIP-Seite der Straße, das hieß: Man schaute aus erster Reihe zum Segelflugplatz.
Schon am Sonntagmorgen wurde besprochen, dass das Mittagessen früher als sonst auf den Tisch zu stehen hatte, oder man nahm diese Mahlzeit gleich im Garten ein. Dann begannen die Rituale und die Vorfreude wurde immer größer. Ein Liegestuhl, der heute schwer zu beschreiben ist, wurde am höchsten Platz des Gartens aufgestellt. Er besaß schon Gelenke und war aus vielen Einzelteilen schweren Holzes gedrechselt. Legte man sich hinein, stellte er sich in Schlaflage, bewegte man die Beine nach unten, saß man mit hoher Rückenlehne, besser als in jedem Theatersitz. Allerdings war der Stoff nicht gerade kuschelig. Er war aus kratzigem Garn gewebt. Es erinnerte an einen Teppich. Für das kleine Mädchen wurde die Schaukel oder Hängematte aufgehängt.
Die Spannung stieg, weil man nicht genau wusste, ob Seilwinde oder ein Flugzeug die Segelflieger in die Luft bringen würde. War es dann soweit, meist gegen 14.00 Uhr hielt man den Atem an, wenn diese ausgeklinkt wurden. Danach verfolgte man die Kreise und erschrak oft, wenn die Landung nicht genau glückte.
Natürlich standen auch viele Zuschauer direkt am Flugplatz. Allerdings konnten diese dabei nicht im Liegestuhl liegen, denn die Taurasteinstraße war eine Hauptverkehrsstraße.
Noch heute ist das kleine Mädchen von damals dankbar, dass es solch herrliche Attraktionen vor der Kulisse des Taurasteinturmes erleben durfte. Vergessen wird sie diese nie!
Burgstädt, 28.7.2024